Gestern noch war Weihnachten, meine Damen und Herren ... und jetzt? Jetzt ist Ausverkauf. Vergessen sind Barmherzigkeit und Nächstenliebe – jedenfalls wenn es um die letzten Messerbänkchen von Christofle geht. Bei mir jedenfalls. Ich meine: Bei mir wirkt das ja immer ganz gut als Anreiz, wenn irgendwas nur noch einmal da ist (oder zu sein scheint): der letzte silberne Ralph-Lauren-Ankerketten-Briefbeschwerer, die letzte Garnitur Hästens-Bettwäsche in der richtigen Grösse; es spielt keine grosse Rolle, wie viele Briefbeschwerer und wie viel Bettwäsche ich schon zu Hause habe. Und offenbar bin ich nicht der Einzige.
Jedenfalls las ich kürzlich in einem Artikel der «New York Times» über Impulskäufe, dass die Betonung von Knappheit eine hochwirksame Verkaufs- und Ausverkaufsstrategie sei. Ebenso wie übrigens die Aussicht auf Kredit. Derartige Anreize zielten nämlich auf eine quasi eingeborene Präferenz des Menschen: die Neigung zur sofortigen Befriedigung irgendeines Bedürfnisses oder Verlangens (anstelle der aufgeschobenen Gratifikation). Ökonomisch spricht man von Gegenwartspräferenz: Die meisten Leute bevorzugen 20 Franken heute gegenüber 100 Franken in einem Jahr; obschon eine Rendite von 400 Prozent in 12 Monaten schwer zu schlagen sein dürfte.
Das ist alles hinlänglich bekannt. Was ich in besagtem Artikel noch interessanter fand, war ein Hinweis zur menschlichen Willenskraft. Forschungsergebnisse zeigen nicht nur, dass diese Willenskraft begrenzt ist, sondern auch, dass jede erfolgreiche Ausübung derselben, beispielsweise in der gelungenen Unterdrückung eines Impulskaufs, die Wahrscheinlichkeit dafür erhöht, dass dann eine kurz darauf folgende Willensprobe nicht mehr bestanden wird, sofern die Versuchungen in schneller Folge an den armen Menschen herantreten, wie beim Nachweihnachtsausverkauf auf der Zürcher Bahnhofstrasse oder zum Beispiel generell in Shopping Malls. Wahrscheinlich bin ich deswegen so gerne da.
Der Trick besteht also darin, seine Impulse nicht zu unterdrücken (weil das sowieso nicht klappt), sondern zu ändern. Und dies zum Beispiel, indem man ein Gefühl der Dankbarkeit kultiviert. Ja, meine Damen und Herren, es ist empirisch getestet, es stand in der «New York Times»: Dankbarkeit verhindert Impulskäufe. Psychologen wissen ja seit langem, dass negative Emotionen wie Ärger oder Furcht die menschliche Entscheidungsfähigkeit beeinflussen können; doch der Einfluss positiver Emotionen wie eben Dankbarkeit wurde lange nicht gewürdigt. Sträfliche Vernachlässigung, denn in der Perspektive einer dynamischen Kosten-Nutzen-Analyse ist Dankbarkeit ein Gefühl, das den langfristigen Wert von kurzfristigen Verzichts- und Entsagungsleistungen ins Bewusstsein hebt (zum Beispiel bin ich dankbar für den Gefallen, den mir jemand getan hat, und fühle mich also dieser Person in Zukunft verpflichtet).
Konsequenterweise sind Geduld und Selbstkontrolle mit Dankbarkeit positiv korreliert: Menschen, die sich dankbar fühlen, sind geduldiger und brauchen weniger Sofort-Gratifikationen. Wenn Sie Ihre Impulskäufe also im neuen Jahr unter Kontrolle halten wollen, sollten Sie besser nicht dagegen ankämpfen, irgendwas zu wollen, sondern lieber dankbar sein für das, was Sie schon haben. Das klingt irgendwie beinahe schon buddhistisch. So verhindern Sie Impulskäufe. Sofern Sie das wünschen. Interessant ist nämlich auch: Während das Gefühl von Dankbarkeit die Geduld erhöht, lässt sich dieser Effekt für das Gefühl von Glücklichsein nicht wirklich feststellen. Wenn man sich also nicht speziell dankbar, sondern bloss allgemein happy fühlt, verhindert das keine Impulskäufe. Prima. Und jetzt entschuldigen Sie mich. Ich muss mir die Rüstung für den Ausverkauf anziehen.