Es war ein stürmischer Tag. Und weil man sich Stürmen stellen soll, sagte ich meinen Kindern: «Zieht euch warm an, wir gehen zum Hafen.» Wenig später standen wir am Landesteg, wo die Seile gegen die Masten schlugen und die wagemutigsten Wassersportler sich in ihre Neoprenanzüge zwängten und ihre Surfsegel aufriggten. Wir bewunderten die Wellen, die übers Ufer schwappten, und bewunderten die Surfer, die über den stürmischen See schossen. Nach einer Weile wollten wir uns wieder auf den Rückweg machen, als meine Tochter plötzlich aufschrie. «Mama», rief sie, zerrte an meinem Arm und zeigte auf einen der Surfer, «Mama, das war eine Frau! Wow!» Und während ich mit den Schultern zuckte und meinte: «Klar, warum sollten Frauen das nicht können», stand sie am Ufer und starrte der verwegenen Surferin mit glänzenden Augen nach.
Ich glaube nicht, dass meine Tochter Surferin werden will. Trotzdem werde ich nie ihren Blick vergessen, der besagte: «Frauen können das also auch, ich könnte das auch!» Daran musste ich denken, als ich am Wochenende wieder mal in eine Diskussion verwickelt wurde, warum Frauen im Schnitt immer noch weniger verdienen, mehr in der Familie arbeiten und in Führungspositionen untervertreten sind und ob eine Frauenquote das ändern könnte. Wie immer wurde argumentiert, dass Frauen beim Lohn eben schlechter verhandeln, dass sie Mütter werden und deswegen im Beruf zurückstecken und dass eine Quote ungerecht wäre, weil die Gefahr bestünde, dass das Geschlecht wichtiger werden könnte als die Qualifikation und also Unfähige portiert würden. Dass die Frauen mit der Zwängerei endlich aufhören und Natur, Geschichte und Biologie ihren Lauf lassen sollten, denn Männer definierten sich nun mal übers Arbeitsleben, während den Frauen ihre Kinder über alles gehen.
In all dem steckt ein kleines Körnchen Wahrheit: Ja, Frauen verhandeln in der Regel schlechter, trauen sich weniger zu, unterschätzen sich. Wenn sie Kinder bekommen, neigen sie dazu, im Job zurückzustecken, um mehr für die Familie zu arbeiten, was dazu führt, dass sich weniger Frauen in der Rekrutierungsbasis für Führungspositionen finden. Und wenn, dann haben sie vielleicht kleine Kinder zu Hause und wollen nicht.
Das alles hat aber nichts mit Biologie zu tun. Männer und Frauen haben in der Tendenz zwar unterschiedliche Interessen. Aber es ist keineswegs naturgegeben, dass Frauen schlechter verhandeln, sich weniger zutrauen, weniger gut führen könnten, sich dem Wettbewerb weniger stellen, weniger Verantwortung übernehmen wollen und sich nur für Kinder und Häusliches interessieren. Diese Faktoren sind sozialer Natur, und auf sozialen Druck reagieren Frauen bekanntlich besonders sensibel. Was ebenfalls nicht stimmt, ist, dass dies eine blöde Zwängerei ist. Zahlreiche Studien haben ergeben, dass gemischte Teams erfolgreicher wirtschaften und dass die Mitarbeiter gemischter Teams sich in der Regel wohler fühlen, als wenn ein Geschlecht stark übervertreten ist. Genauso wie es gut für Familien ist, wenn Väter sich mehr engagieren.
Natürlich sind Rahmenbedingungen wichtig, und deshalb habe ich mich gefreut, dass die SP-Frauen am Wochenende einen Vorstoss zur «ökonomischen Gleichstellung» gestartet haben. Aber ich glaube, dass sich die Frauen im Arbeitsleben erst dann durchsetzen werden, wenn der Druck von ihnen kommt. Und deshalb glaube ich auch, dass wir bei der Erziehung beginnen müssen, dass wir den Mädchen beibringen müssen, sich dem Wettbewerb zu stellen, nicht so leicht aufzugeben, sich etwas zuzutrauen, sich Unangenehmem auszusetzen und dass man nicht immer gleich aufgeben und sich minderwertig fühlen muss, wenn man scheitert. Dass Mutterschaft zwar schön, aber die betreuungsintensive Zeit für Babys relativ kurz ist und es schade ist, dafür die berufliche Zukunft über Bord zu werfen. Dass Kinder und ihre Erziehung zwar eine tolle Aufgabe sind, dass es aber gesund ist, sich nicht nur über Kinder zu definieren.
Und nicht zuletzt braucht es Vorbilder. Nicht nur erfolgreiche Schauspielerinnen und Künstlerinnen, sondern Managerinnen und Politikerinnen, Sportlerinnen und Chefredaktorinnen, die den jungen Frauen zeigen, dass man nicht gleich bei jedem Sturm in die ruhige Stube flüchtet. Sondern es auch einfach mal aushalten und dann weitermachen kann.
Heute Abend widmet sich der «Club» im Schweizer Fernsehen der Initiative der SP-Frauen. Michèle Binswanger wird an der Diskussion teilnehmen.